Das Ende der schnellen Siege
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Die FAZ berichtet am 2.
August 2006, Nr.177 (Lothar Rühl):
Vier Kriege markieren das Ende einer Epoche der schnellen
Siege und die in ihrem Verlauf sichtbar gewordenen Hindernisse
für eine erfolgreiche bewaffnete Intervention: Afghanistan,
Irak, Palästina und Libanon.
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Es sind die professionellsten und waffentechnisch überlegensten
Armeen, die diese Erfahrung machen. Entgegen der seit zwei Jahrzehnten
gängigen Annahme, wonach Reaktionsschnelligkeit im Einsatz,
operative Flexibilität, Waffenpräzision in der Zielbekämpfung,
Luftherrschaft über dem Kriegsschauplatz, überlegene Feuerkraft
am Boden wie aus der Luft, strategische Raumkontrolle und nahezu
unbegrenzte technische Aufklärungsfähigkeit den erfolg
über jeden Gegner sichern, erweist sich der waffentechnisch
und materiell, nach der Zahl der Kämpfer wie der Waffen im
Gefecht unterlegene Feind im eigenen Land als schwer besiegbar.
Die asymmetrischen Kriege seit Ende des 20. Jahrhunderts haben
alten Erfahrungen mit der Guerilla unter veränderten Bedingungen
auf einem bis dahin nicht erreichten kriegstechnischen Niveau neue
hinzugefügt: die Geiselnahme der eigenen Bevölkerung als
Schutzschild durch die Untergrundkämpfer (was weder die Kommunisten
im chinesischen Bürgerkrieg, noch die roten Partisanen in Russland,
Jugoslawien oder Vietnam während des Krieges getan hatten);
die Auswahl ungeschützter und wehrloser Ziele in der Bevölkerung
des eigenen Landes wie in dem des Feindes als Vorzugsziele, die
allgemeine Vermengung von irregulären Kombattanten und Einwohnern
in den Ortschaften des Südlibanons, des Gazastreifens, im Süden
und Osten Afghanistans und im Irak; die Tendenz zu unterschiedlosem
Waffeneinsatz gegen militärische und zivile Ziele in Wohngebieten
und zur Zerstörung von Verkehrswegen, Rundfunksendern, Elektrizitätswerken,
Treibstofflagern und anderen Versorgungseinrichtungen des Landes,
in dem der Krieg stattfindet oder gegen das er geführt wird,
wie in Serbien und im Kosovo 1999, in Afghanistan 2001,im Irak 2003,
von Israel in Gaza und im Libanon, von der Hizbullah und Hamas in
Israel im Sommer 2006 mit einem schon über Jahre dauernden
Vorlauf; die Nichtbeachtung der Haager Landkriegsordnung und der
Genfer Konventionen zum Schutz der „Zivilbevölkerung“
und der Rettungsdienste, andererseits die Bewaffnung der Bevölkerung
außerhalb erkennbarer Kampfverbände und missbräuchliche
Nutzung von Krankenhäusern, Schulen und religiösen Kultstätten
wie Kirchen (durch die PLO in Bethlehem für Beschuss der Israelis)
oder Moscheen im Irak, in Gaza und im Libanon zur Lagerung und zum
Abschuss von Waffen, insbesondere Kurzstreckenraketen.
Diese vorsätzliche, taktisch und politisch genutzte Verwischung
der Grenzen gibt dem asymmetrisch bewaffneten Konflikt seine besondere
Qualität als totaler Krieg, als Rückfall in die Barbarei
und in die ungehemmte Willkür der Gewaltanwendung, wie sie
in den Bombardements der Luftwaffe und Artillerie, in den nur auf
Ortschaften, Häfen oder einfach auf das Land der Gegenseite
gezielten, militärisch bedeutungslosen Terrorangriffen geschieht.
Die damit verursachte Lage behindert gezielte militärische
Operationen. Der im Frontbereich entstehende Nahkampf zwischen dem
Angreifer, im Irak den amerikanischen Truppen, in Gaza und im Südlibanon
der israelischen Armee, bei unübersichtlichen örtlichen
Verhältnissen im Straßen- und Häusergewirr, in zerklüftetem
bergigen Gelände mit engen gewundenen Straßen nimmt den
gepanzerten und schnellen Truppen ihre operativen Vorteile: Beweglichkeit
und Reichweite.
Die leichten Waffen des an Feuerkraft unterlegnen Verteidigers
werden im Kampf aufgewertet. Das Gefecht der verbundenen Waffen
moderner Truppen löst sich in zeitraubende und aufreibende
Einzelkämpfe auf, in denen auch die Verluste der überlegenen
Gegner rasch zunehmen und in denen der operative Zusammenhang oft
verloren geht. Dies ist die Lage der alliierten Truppen in den Kampfgebieten
Afghanistans und im Irak, der Israelis im Gazastreifen und vor allem
im Südlibanon.
Die Feldzüge gegen den Feind in geschlossener, gestaffelter
Aufstellung wie 2001 in Afghanistan und 2003 im Irak können
noch immer mit überlegener Waffenwirkung und Beweglichkeit
von modernen Armeen rasch zum Erfolg geführt werden. Doch wenn
der Krieg danach in den Untergrund und in den hinhaltenden Widerstand
geht, gehen diese Vorteile der Sieger bald verloren, und es beginnt
der Kleinkrieg gegen die Besatzungsmacht, die das Land nicht unter
Kontrolle bringen kann.
An die Stelle der schnellen Siege tritt der Zermürbungskampf
des Besatzungskrieges mit einer von beiden Seiten verfolgten Ermattungsstrategie,
in der die Asymmetrie des Konflikts sich mit der Zeit gegen die
militärisch und materiell überlegene Invasionsarmee auswirken
kann. Dies geschieht derzeit in Afghanistan und im Irak. Im Libanon
trifft Israel auf einen im Gelände verteilten und verschanzten
Gegner, der nicht bereit ist aufzugeben und der auf internationalen
Druck auf Israel setzt. Obwohl Israel noch nicht wirklich unter
Druck steht, solange Washington es abschirmt, läuft die Zeit
doch gegen die israelische Kriegsführung, weil diese eine definitive
Entscheidung nicht rasch erzwingen kann und mehr Zeit zum Erfolg
braucht als der nur ausharrende Feind, dessen Raketen auch Israel
zum Ziel und zum Kriegsgebiet gemacht haben. In solchen Lagen klaffen
die militärischen und die politischen Erfordernisse der Kriegsstrategie
gefährlich auseinander, und das strategische Erfolgsrisiko
der Interventionsmacht nimmt zu, das Risiko, das politische Ziel
im Krieg zu verfehlen. Diese Perspektive hat sich schon seit drei
Jahren im Irak, seit zwei Jahren in Afghanistan, seit zehn Jahren
in Palästina geöffnet. Sie zeichnet sich an den Höhen
des Libanons auch für Israel ab.
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